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Indien: Der große Basar des Organhandels

Transplantationstourismus als globales Geschäft


Nicht nur in den indischen Medien, auch international machte die Aufdeckung eines illegalen Organhändlerrings in einem Vorort von New Delhi Anfang des Jahres Schlagzeilen. Damit wurde eine der dunklen Seiten des Medizintourismus ans Licht der Öffentlichkeit gebracht (s. auch TW 46, März 2007). Noch bevor der Boss des Händlerrings, Amit Kumar, Anfang Februar in Nepal gefasst werden konnte, war klar: seine lukrativsten Kunden waren Ausländer.

Die große Kluft zwischen der hohen Nachfrage nach Nieren und dem in vielen Ländern nicht ausreichenden Angebot trägt dazu bei, dass Gesetze umgangen oder Gesetzeslücken durch kriminelle Geschäftemacher ausgenutzt werden. Über 1,5 Millionen Menschen weltweit sind Dialyse-Patienten. Allein in Europa warten 40.000 Patienten auf eine Nierentransplantation. Indien ist eines der Länder, wo sowohl der nationale Schwarzmarkt als auch der internationale Transplantationstourismus florieren. Indien ist wie ein “großer Basar', auf dem Organe gehandelt und – je nach Kaufkraft der “Kunden” – teuer verkauft werden.

Doch der Gewinn liegt auch im Einkauf. In Indien, wo noch immer viele Menschen unter der Armutsgrenze leben, gilt unter den Armen der Verkauf einer Niere nicht selten als letzter Ausweg, wenn es darum geht, Schulden abzuzahlen oder die Mitgift für die Tochter aufzubringen. Die armen “Spender” erhalten für ihre Niere zwischen 30.000 und 100.000 Rupien (etwa 500-1.750 Euro), werden zuweilen aber auch um einen großen Teil des Geldes betrogen. Über die möglichen Folgen für ihre eigene Gesundheit werden sie nicht aufgeklärt.

Um den illegalen Organtransplantationen ein Ende zu setzen, hat die indische Regierung 1994 ein Gesetz erlassen, das den Verkauf von Organen zu einem Verbrechen erklärt. Doch nachdem nun auch die indische Regierung und touristische Unternehmen eingestiegen sind, um den “Medizintourismus” zu fördern, wird die Nachfrage von Ausländern nach indischen Nieren voraussichtlich weiter steigen.

Auch in Indien selbst besteht ein riesiger ungedeckter Bedarf nach Spendernieren und die Wartezeiten sind – wie in vielen Ländern – lang. Legal kommen als Lebendspender nach indischem Recht nur nahe Angehörige in Frage, oder es müssen “altruistische Motive“ des Spenders nachgewiesen werden. Die illegal eingekauften Nieren, die die Armen freiwillig und zuweilen auch unfreiwillig hergaben, können sich nur reiche Inder oder Ausländer leisten. Ein Inder, der es sich leisten kann, zahlt für eine Nierentransplantation etwa 1.500.000 Rupien (ca. 26.000 Euro). Ein ausländischer “Transplantationstourist“ zahlt etwa 2.500.000 Rupien (ca. 43.000 Euro) und trägt dazu die nicht unerheblichen Kosten für die erstklassige Unterbringung in einem der 5-Sterne-Krankenhäuser des Landes und vielleicht auch für einen “post-operativen Urlaub“, wie er in der indischen Tourismuswerbung angepriesen wird. Dennoch: in einer Werbebroschüre der indischen Tourismusbehörde “India Tourism“ heißt es: “Transplantationen verschiedener Organe werden erfolgreich durchgeführt, zu einem Zehntel der Kosten, verglichen mit westlichen Ländern“.

Als Amit Kumar im Januar mit seinem Organhändlerring aufflog, kam ans Licht, dass er und seine Komplizen Hunderte armer Tagelöhner dazu verlockt oder gezwungen hatten, für wohlhabende Kunden Organe zu “spenden”. Nach einem Bericht in der “Hindustan Times” schätzt die Polizei, dass der Händlerring, der sich über sieben indische Bundesstaaten erstreckt, fast 600 illegale Nierentransplantationen durchgeführt hat. Die meisten der Nierenempfänger sollen Ausländer gewesen sein. Fünf Ausländer (zwei Amerikaner und drei Griechen) fand man in einer Luxus-Unterkunft, die der Drahtzieher des Organhändlerrings selbst betrieb. In Delhi wurde zudem eine Ausländerin festgenommen, von der man vermutet, dass sie seine Komplizin ist. Der indische Nachrichtensender NDTV berichtete, dass mindestens 32 Ausländer Nierentransplantationen in Kumars Krankenhaus in Gurgaon bei New Delhi haben durchführen lassen. Es heißt, es habe dort eine Warteliste gegeben, auf der ca. 40 Ausländer aus mindestens fünf Ländern standen.

Es ist nicht das erste Mal, dass illegale Organtransplantationen in Indien Schlagzeilen machen. Bereits 1995 gab es einen großen Skandal und auch Ende vergangenen Jahres wurden in Tamil Nadu Beweise gefunden, dass arme Fischer und ihre Familien, deren Lebensgrundlage durch den Tsunami zerstört worden war, ihre Nieren verkauft hatten. Zwischenhändler, die an dem illegalen Geschäft beteiligt waren, hatten die “Spender” betrogen, die daraufhin Anzeige erstatteten. Besonders erschreckend daran ist, dass die Nieren an ein angesehenes Krankenhaus verkauft wurden, das im Medizintourismus eine führende Rolle spielt.

Die Betreiberin eines auf Medizintourismus spezialisierten kanadischen Unternehmens fürchtet um den guten Ruf der Branche. “Indische Nieren werden in Nordamerika stark nachgefragt und verzweifelte Transplantationspatienten machen sich nicht wirklich Gedanken darum, wie ein Spenderorgan in Übersee beschafft wird”, sagte sie gegenüber einer kanadischen Zeitung. Sie beklagt außerdem, dass einige Patienten versuchen würden, die Preise zu drücken. “Sie denken, sie könnten eine Niere für einen Pfennigbetrag kaufen”. Was sie nicht sagt, ist, wie wenig Geld die “Spender” eigentlich bekommen und wie viele “Vermittler” an dem lukrativen Geschäft beteiligt sind.

Neben öffentlicher Empörung hat dieser Skandal auch der Diskussion um eine mögliche Legalisierung des Verkaufs von Nieren für Transplantationen Auftrieb gegeben. Vor allem die “Gesundheitswirtschaft“ treibt diese Diskussion an. Wenn man unser Gesetz aushöhlt, um Geschäftsinteressen zu dienen, anstatt es zum Schutz der Menschlichkeit wirksamer durchzusetzen, wenn der Medizintourismus weiter zunimmt und wenn andere Länder ihre eigenen Gesundheitssysteme nicht in den Griff bekommen, dann wird sich die Ausbeutung der Armen in Indien durch die globale Oberschicht weiter verschärfen.

(6.089 Anschläge, 81 Zeilen, März 2008)