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Den Zorn aufrechterhalten

Die Wurzeln der Ecumenical Coalition on Tourism (ECOT)


Als sich im September 1980 auf Einladung der Asiatischen Kirchenkonferenz (CCA) und des katholischen Büros für menschliche Entwicklung 30 Teilnehmende zum Workshop “Third World Tourism“ an der Ateneo Universität in Manila, Philippinen trafen, hatten sie alle ihre eigenen Erfahrungen gemacht: mit einem Tourismus, der als wirtschaftlicher Rettungsanker gepriesen wurde und als eine “Industrie ohne Schornsteine“ galt.

Die Workshopteilnehmerinnen und –teilnehmer mit sehr unterschiedlichem Hintergrund machten in und um Manila gemeinsame Erfahrungen. Sie fuhren in die Berge, besuchten Badeorte und die wichtigsten Attraktionen der Stadt. Dabei sprachen sie mit Leuten, die Tourismus förderten und verkauften, mit Akademikern und vielen Menschen, deren Leben und Lebensgrundlage durch den Tourismus beeinträchtigt wurde. Sie trafen indigene Bevölkerungsgruppen, Bauern, die zugleich als Bootsmänner arbeiteten, junge Frauen, die als Prostituierte quasi gefangen gehalten wurden, und viele andere Menschen aus den Dörfern.

Das Erlebte dokumentierten sie in Fallstudien und Lageberichten. Sie ärgerten sich über die Art und Weise, wie das, was als eine Freizeitbeschäftigung der Mittelschicht dargestellt wurde, zu einem Instrument weiterer Unterdrückung der Armen dieser Welt geworden war.

Aus dem Ärger wurde Zorn

Sie ärgerten sich umso mehr, da sie sich in den Geheimzimmern der Universität trafen und zu ziemlich strengen Sicherheitsmaßnahmen gezwungen waren. Denn sie kamen zur Zeit des Diktators Ferdinand Marcos zusammen, der über die Philippinen den Ausnahmezustand verhängt hatte. Jede Kritik an der Regierung würde als subversiv betrachtet werden. Die schnelle Entwicklung des Tourismus war Regierungspolitik, so dass wir uns auf gefährlichem Terrain bewegten. Überrascht es dann, dass für diese internationale Gruppe, die eine krasse Ungerechtigkeit identifiziert hatte und nicht laut darüber reden durfte, Worte nicht ausreichend waren, um ihrer Empörung Raum zu geben? Sie kamen zu der Schlussfolgerung, dass der Tourismus in der Dritten Welt mehr Zerstörung angerichtet hat, als dass er irgendetwas Gutes hätte bewirken können.

Den Zorn in Handeln umsetzen

Das letzte, was die Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer wollten, war nach Hause zu gehen und mit der neuen Klarheit, die sie gewonnen hatten, als Einzelkämpfer weiter zu machen. Sie brauchten eine Gemeinschaft, um ihren Zorn aufrecht zu erhalten und ihr Engagement für Veränderungen zu bündeln. Wenn etwas getan werden sollte, so müssten es die Menschen in der Dritten Welt selbst sein, die das tun würden. Es besteht ein qualitativer Unterschied, wenn man das Tourismusphänomen innerhalb der Dritten Welt betrachtet. Dieser Unterschied liegt nicht in der Natur des Tourismus, sondern in der Natur der Dritten Welt. ”Dritte Welt” mag ein sehr unpräziser Ausdruck sein, aber er bezieht sich ganz klar auf die Situationen, in denen mächtige Eliten die Entscheidungen trafen und lokale Stakeholder an den Rand gedrängt wurden und keine andere Wahl hatten, als die wirtschaftliche Bereicherung zu unterstützen, den politischen Ambitionen der Mächtigen zu dienen und radikale Veränderungen in den Gemeinschaften und im Leben der Menschen zuzulassen.

Da sie Kirchen vertraten, entschieden die Workshopteilnehmer, sich an ihre eigenen Netzwerke zu halten, um etwas in Gang zu bringen. So wurde die “Ecumenical Coalition on Third World Tourism“ geboren – ein schwerfälliger Name für eine Organisation, die komplexe Aufgaben übernehmen würde, um den Menschen in der Dritten Welt, die in ihrer Heimat auf den Tourismus reagieren wollten, mehr Macht zu verleihen. Niemand von uns hätte zu diesem Zeitpunkt gedacht, dass diese Organisation in die “Ecumenical Coalition on Tourism“ (ECOT) übergehen und 25 Jahre später noch immer existieren würde.

Ein Blick zurück

1982, in einem kleinen Zimmer in Bangkok, war ich allein mit einem kleinen Budget und einer riesigen Aufgabe. Die Schlüsselaufgabe war Netzwerkarbeit und ich glaube, sie ist es auch heute noch. “Contours“ wurde als Netzwerk-Newsletter geschaffen. Er entwickelte schon bald ein Profil für die Bewegung und wurde zu einer anerkannten Informationsquelle und zu einer Plattform für Ideenaustausch.

Die Netzwerk-Partner spiegelten schon bald eine Reihe von Sichtweisen wider und nahmen sich diversen Anliegen an. Es ist nicht so einfach, den Zorn aufrechtzuerhalten, wenn sich der Zorn über eine Reihe von Themen und Orten dünn verteilt und auf verschiedenste Weise zum Ausdruck kommt. Ich denke, wir sollten anerkennen, dass ein Vorgehen, das an einem Ort angemessen und richtig erscheint, von einer anderen Gruppe an einem anderen Ort unter Umständen ganz anders gesehen wird. Die kreative Rolle der Coalition besteht darin, Brücken von Vertrauen und Verständnis zwischen den verschiedenen Positionen zu bauen.

Der Zorn, der in Manila entstanden war, richtete sich auf den Tourismus, aber es ging dabei im Kern um Menschen. Es ging um Machtmissbrauch und unangepasste Entwicklungsstrategien, es ging darum, dass Menschenwürde und Menschenrechte wirtschaftlichem Gewinn untergeordnet wurden, es ging um die unkritische Akzeptanz ungerechter internationaler Strukturen. Der Tourismus wird deshalb wichtig, weil er die Optionen der Menschen beeinflusst. Der Tourismus als solcher ist für die Menschen der Dritten Welt nicht wichtig.

Viele Menschen, viel Energie und viele Ressourcen wurden eingesetzt, um den Tourismus menschlicher, ethischer, verantwortlicher zu machen. Ich will nicht sagen, dass die Bemühungen, das Wesen des Tourismus zu beeinflussen, nicht auch Vorteile hätten – wenn man sich z.B. für Grenzen touristischer Entwicklung einsetzt und ethische Standards für die Veranstalter touristischer “Produkte” oder sogar für Touristen selbst vorschlägt. Im Gegenteil, ich denke, die Coalition und die Menschen der Dritten Welt haben einige neue Freunde und Verbündete in der Tourismuswirtschaft gefunden.

In 25 Jahren haben wir einen langen Weg zurückgelegt. Man betrachtet uns nicht mehr als Wesen von einem anderen Stern, wenn wir das gängige Wissen um den Tourismus in Frage stellen. In mehreren Wirtschaftsbereichen rund um den Tourismus stellt man sich inzwischen die Frage nach der Verantwortung. Doch wer beobachtet oder kontrolliert die hehren Vorsätze sozialverantwortlicher Unternehmen? Meine Vermutung ist: niemand, zumindest niemand außerhalb dieser Unternehmen.

Die Interessengruppen in den vom Tourismus betroffenen Gemeinschaften haben wenig Macht, um den Tourismus zu gestalten oder zu reformieren. Doch mit ziemlicher Sicherheit wissen sie, was vor sich geht, und sie können berichten, ob die Umsetzung der Rhetorik und die Realität vor Ort wirklich den hochtrabenden Richtlinien der Wirtschaft und einiger Regierungen entspricht. Sie brauchen nur eine Infrastruktur, in der sie arbeiten können. Sie brauchen ein wenig Organisation, ein wenig Information und sie müssen wissen, wie sie über ihre Erfahrungen auf sinnvolle Weise Bericht erstatten können, so dass sie auf die Stärke anderer Netzwerke zurückgreifen können, um Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben, damit diese ihr Wort halten. Eine solche Infrastruktur wäre ein wirksames Instrument, um die Auswirkungen des Tourismus auf das Leben der Menschen und Gemeinschaften zu reformieren.

Ein Blick nach vorn

Vor einem Vierteljahrhundert wurde durch die Empörung von Menschen eine kleine, schlecht ausgestattete und zugegebenermaßen mit vielen Mängeln behaftete Initiative ins Leben gerufen. Ich sehe noch immer etwas von dem Zorn aufblitzen, der den Anstoß dafür gab, und ich weiß, dass hinter dem Zorn die Sehnsucht der Menschen nach einem besseren Leben liegt. Wo der Zorn aufrechterhalten wurde, ist Hoffnung entstanden. Noch immer gibt es viel, über das man sich ärgern muss. Möge der Zorn aufrechterhalten bleiben!

Peter Holden war von 1982 bis 1986 und von 1993 bis 1997 Direktor der Ecumenical Coalition on Third World Tourism (ECTWT), damals mit Sitz in Bangkok. Als Pfarrer der Uniting Church in Australia lebt er heute in Australien.

Gekürzte Fassung des Beitrags “Maintaining the Rage“ aus “Transforming Tourism/Re-forming Tourism“, Hg. Ecumenical Coalition on Tourism (ECOT), Chiang Mai. In Vorbereitung, erscheint voraussichtlich im März 2008.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(8.392 Anschläge, 116 Zeilen, März 2008)