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Beteiligung der ländlichen Bevölkerung am Tourismus in Guatemala

Nur ein Flüstern im Walde


Jedes Jahr besuchen gut 1,5 Millionen Ausländer als Touristen Guatemala. Es könnten weitaus mehr sein, doch das mittelamerikanische Land leidet sehr unter seinem Image als gefährliches Reiseland. Dennoch setzen viele Dorfgemeinschaften auf Tourismus, auch, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und ihre Umwelt zu schützen. Es existieren ungezählte gemeindebasierte touristische Initiativen in Guatemala. Der Tourismus ist für Guatemala der größte Devisenbringer neben den Überweisungen von im Ausland lebenden Guatemalteken. Der amtierende Präsident Álvaro Colom bekräftigt deshalb immer wieder, dass der Tourismus ein hervorragendes Mittel zur Armutsbekämpfung sei.

Für viele Europäer ist der Bürgerkrieg, der 1996 nach 36 Jahren für beendet erklärt wurde und über 200.000 Menschen das Leben gekostet hat, die einzige Assoziation zu Guatemala. Viele der Touristen, die Guatemala besuchen, erreichen das Land über seine Nordgrenze zu Mexiko. Im Rahmen einer Rundreise zu den eindrucksvollen archäologischen Stätten der Halbinsel Yucatan besuchen sie auch für einen Tag die Ruinenstadt Tikal. Sie erfahren oft nicht, dass Guatemala weit mehr zu bieten hat. Dass der Plan für nachhaltigen Tourismus, den der Staat für die Jahre 2004-2014 beschlossen hat, einen besonderen Fokus auf die Diversifizierung der touristischen Produkte legt, ist also folgerichtig. Neben der Aufwertung bereits existierender touristischer Attraktionen wie Tikal, Antigua Guatemala und des Atitlan-Sees sollen auch weitere Destinationen entwickelt werden. Da die meisten Gäste, die gezielt nach Guatemala kommen, kultur- oder naturinteressiert sind, stellt die Förderung des indigenen Tourismus in ländlichen Gebieten einen Schwerpunkt der staatlichen Tourismuspolitik dar.

Gemeindebasierter Tourismus in Guatemala

Zählt man nur dörfliche Tourismusinitiativen, die es bereits auf die touristische Landkarte geschafft haben, sei es, weil sie Teil nationaler und internationaler Förderprogramme sind oder weil sie bereits im Programm eines kleinen Reise-veranstalters zu finden sind, kommt man in Guatemala bereits auf etwa 100 Projekte. Viele weitere Gemeinschaften wollen Tourismus betreiben oder tun es bereits. Alejandra Silva, die für die gemeindebasierte Tourismusentwicklung beim staatlichen guatemaltekischen Tourismusinstitut INGUAT zuständig ist, nennt diesen Wildwuchs "touristische Unregierbarkeit" ("desgobernabilidad turistica").

Vielen der touristischen Initiativen fehlt es vor allem am Marktzugang und der touristischen Fachkenntnis oder sie benötigen Kleinkredite, um ihr Angebot zu verbessern. Wo solche Kredite verfügbar sind, führen sie häufig zu Streitigkeiten innerhalb der Gemeinschaften. Auch die mangelnde technische Infrastruktur, wie Straßen, Strom und Wasserleitungen und der oft unzureichende Zugang zu allgemeiner Bildung stellen große Herausforderungen für die Gemeinschaften dar.

Die touristischen Unternehmen, die weitaus aktiver im Bereich der Bildung und Beratung auftreten könnten, sehen ihre Rolle jedoch allein in Werbung und Verkauf bereits marktfähiger indigener Tourismusprodukte. Diese marktfähig zu machen, sehen sie als Aufgabe des Staates, der Nichtregierungsorganisationen oder internationaler Organisationen an. Gleichberechtigte unternehmerische Partnerschaften zwischen Gemeinschaften und Reiseveranstaltern existieren in Guatemala nicht.

Tourismus soll dörfliche Entwicklung fördern

Meist sind es dörfliche oder regionale Organisationen, die den Tourismus als ein zusätzliches Arbeitsfeld entdecken. Diese Nichtregierungsorganisationen, Gemeinde-organisationen und Basisgruppen arbeiten hauptsächlich im Bereich der regionalen Entwicklung, des Umweltschutzes oder der Frauenrechte. In Guatemala, dem "Land der Bäume" (nach dem toltekischen Wort Cuauhtemallan), wird der Tourismus oft als Mittel gesehen, den Wald zu schützen und Kindern und Jugendlichen die Bedeutung der Umwelt nahe zu bringen.

Das Projekt "Corazon del Bosque" (Herz des Waldes) im Distrikt Solola, direkt an der Interamerikana gelegen, orientiert sich deshalb nicht nur an ausländischen Gästen, sondern bietet auch Schulungen und Seminare für Schulgruppen aus ganz Guatemala an. Die Besucher lernen viel über den Wald, aber auch über kulturelle und spirituelle Rituale der Bevölkerung. Durch die Einnahmen aus dem Tourismus kann die Umweltbildung finanziert werden.

Die Bildung spielt auch im Projekt "Ak´Tenamit" nahe der Stadt Livingston an der guatemaltekischen Karibikküste eine besondere Rolle. Der Jugend eine Zukunft auch innerhalb der indigenen Gemeinschaften zu bieten und den Migrationsdruck in die Städte zu vermindern, ist ein zentrales Ziel der Organisatoren. Das Projekt ermöglicht es etwa 500 Jugendlichen, eine erste berufliche Qualifikation zu erwerben. Innerhalb von drei Jahren werden sie im Bereich Gesundheit, Administration oder Tourismus ausgebildet. Auf dem Lehrplan stehen auch die indigene Sprache Q´eqchí und das Fach Kosmovision, in dem die Schülerinnen und Schüler die spirituelle Weltanschauung der Maya kennen lernen. Touristen können das Schulzentrum oder einzelne Dörfer mit ihren touristischen Einrichtungen besuchen. Sie können auch Kunsthandwerk kaufen, das in den Gemeinschaften hergestellt wurde. Dank Fairtrade-Prämie kommen die Einnahmen der Entwicklung in den Gemeinschaften direkt zugute.

Einen anderen Fokus hat das kleine Tourismusprojekt in Laj Chimel. Es liegt in der Region Quiche, die besonders stark unter dem Bürgerkrieg gelitten hat. Die gesamte Gemeinschaft von Laj Chimel, dem Geburtsort der Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchu Tum, wurde während des Bürgerkriegs vertrieben, viele Bewohner starben. Von den ehemals 91 Familien kehrten nur zwei zurück. Insgesamt leben heute in der Gemeinschaft knapp 20 Familien. Der Tourismus hilft hier, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen. Doña Maria, Koordinatorin des dörflichen Tourismusrates, war gerade 17, als sie aus dem Dorf floh. Mit psychologischer Unterstützung konnte sie das Erlebte so weit aufarbeiten, dass sie jetzt Gäste durch den Wald führt, in dem sie sich jahrelang verstecken und Grausames miterleben musste. Sie sagt: "Damals drohten sie mich umzubringen, wenn ich rede. Heute kann ich sogar interessierten Besuchern berichten, was passiert ist." Und sie erzählt, wie wichtig auch für sie die Bäume sind. Sie dienten oft als Versteck, als Wasserspeicher und als Orientierung im Wald. Auch ihr erstes Baby hat sie unter einem dieser Bäume begraben. Sie ist sich sicher: "Wenn Touristen unseren Wald besuchen möchten und dafür bezahlen, kann er vor Abholzung geschützt werden."

Egal ob der Tourismus bereits wirtschaftlich tragfähig betrieben wird, wie in den ersten beiden Projekten, oder noch am Anfang steht und auf technische Beratung von außen angewiesen ist, wie in Laj Chimel im Rahmen der ST-EP-Initiative der Welttourismus-organisation - die lokale Bevölkerung ist an diesen Projekten in hohem Maße beteiligt.

Das Tourismus-Megaprojekt "Cuatro Balam"

Ob "Cuatro Balam", das ambitionierteste Tourismusprojekt, das Guatemala je gesehen hat, diesen Erwartungen auch gerecht wird, muss sich erst noch zeigen. Präsident Alvaro Colom stellte den Tourismusplan im Juli 2008 persönlich vor. Danach soll die noch wenig bekannte archäologische Stätte "El Mirador" am nördlichsten Rand Guatemalas erschlossen werden. Heute besuchen etwa 2.000 Gäste jährlich diesen abgelegenen Ort, 2012 sollen es bereits 6.000 und bis 2023 über eine Million Besucher pro Jahr sein. Es soll ein archäologischer Park ohne Siedlungen entstehen, der nur von Touristen genutzt wird. Südlich davon soll es ein Areal mit touristischer Infrastruktur geben und noch weiter entfernt ein landwirtschaftlich nutzbares Gebiet. Heute kommen viele der Besucher mit dem Helikopter, da die Anreise ansonsten eine mehrtägige Wanderung erfordert. Um die Entwicklung in Zukunft umweltfreundlicher zu gestalten, soll eine Elektrobahn durch den Urwald zu dieser vermutlich größten Ruinenanlage Mittelamerikas führen.

Unabhängige Beobachter schätzen, dass in der Region heute etwa 58.000 Menschen leben. Die meisten sind illegale Siedler, die nach dem Ende des Bürgerkriegs hier im mexikanischen Grenzgebiet eine neue Bleibe fanden. Oft können sie ihren Lebensunterhalt nur durch eine nicht-nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen sichern. Die Region ist zudem Rückzugsgebiet von Drogenhändlern, die Drogen aus ganz Lateinamerika über die grüne Grenze nach Mexiko schmuggeln. Der Plan "Cuatro Balam" dient deshalb auch nicht nur der touristischen Entwicklung, sondern auch dem Schutz der biologischen Vielfalt und dem Kampf gegen den organisierten Drogen-handel.

Ob die Rechte der Menschen, die nun zum Teil illegal in dem Gebiet siedeln, bei solch ambitionierten Plänen Berücksichtigung finden, wird kritisch zu beobachten sein. Rosa María Chan Guzman, Direktorin der Nichtregierungsorganisation ProPetén, sagt in einem Interview mit dem Journalisten Michael Stoll (2008) deshalb auch: "Der Schlüssel, um die Zerstörung des Waldes zu verlangsamen, ist es die Bedürfnisse der armen Bevölkerung zu berücksichtigen, die für die Abholzung verantwortlich sind. Wenn dies nicht geschieht, wird diese Region auch in Zukunft unregierbar bleiben". Sie ruft die Regierung auf, nicht nur Pläne von außen überzustülpen, sondern gemeinsam mit der Bevölkerung zu planen.

Weitere Informationen zu den dargestellten gemeindebasierten Tourismusinitiativen:
http://aktenamit.org
http://corazondelbosque.com

www.lajchimelecoturismo.com

(9.608 Anschläge, 127 Zeilen, März 2010)