Blog

Ausbeutung auf See

Die Schattenseiten des Kreuzfahrtbooms


"Lassen Sie den Spaß beginnen" - mit diesem Werbespruch füllt einer der größten Kreuzfahrtanbieter seine "Fun Ships". Carnival Cruise Lines weiß, was die Kunden suchen. Doch spätestens am Eingang der Mannschaftsunterkünfte unterhalb der Wasserlinie des Schiffes hört auf den "Fun Ships" der Spaß auf. Denn hier leben oft dicht gedrängt in Doppelkabinen bis zu eintausend Mitarbeiter des Hotel- und Restaurantbetriebs, die unermüdlich 24 Stunden am Tag im Schichtdienst für das körperliche Wohl und den "Spaß" der Kreuzfahrer schuften.

Es ist eine Welt für sich, die isoliert vom normalen Kreuzfahrtbetrieb in den Mannschaftsunterkünften ihre eigenen Regeln entwickelt hat. Für den normalen Kreuzfahrer ist diese Welt tabu. Zu krass wären die Gegensätze zwischen den einfachen, aber sauberen Mannschaftsunterkünften und der Glitzerwelt des Kreuzfahrtschiffes, seinen exklusiven Suiten und den geräumigen Außenkabinen mit Balkon, die auf den neuen Mega-Schiffen Standard sind.

Zwischen Luxus und "Unterwelt"

Nicht das gesamte Personal der Reederei lebt in dieser pulsierenden "Unterwelt". Höher bezahlte nautische Offiziere verfügen über bessere Kabinen. Klare Hierarchien sind auf See auch heute noch die Regel. Wer tiefer und lauter leben muss, kommt eher aus einem Niedriglohnland in Asien, Südamerika oder Osteuropa. Dabei wird die nautische Schiffsführung natürlich gut bezahlt. Sie trägt die Verantwortung für 900 Millionen Euro teure Schiffe sowie für die Sicherheit von bis zu 9.000 Menschen an Bord.

Doch rund 70 Prozent aller Beschäftigten auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten im schlechter bezahlten Hotel- und Restaurantbereich. Nur auf kleinen Kreuzfahrtschiffen der obersten Luxusklasse kommen diese Angestellten heute noch aus West- und Zentraleuropa. Schon in den 70er Jahren begann die Holland America Line, ihre niederländischen Stewards durch Indonesier zu ersetzen. Die Bord-Wäschereien sind traditionell in der Hand von Chinesen. Je schlechter bezahlt die Arbeit ist, desto eher kommen die Angestellten aus Niedriglohnländern. Je weniger sie an Bord verdienen, desto einfacher sind sie untergebracht.

Mit Verträgen von sechs bis zehn Monaten Laufzeit kommen sie an Bord. Den meisten ist zwar theoretisch klar, dass sie eine 7-Tage-Woche mit nur sehr wenigen Ruhezeiten erwartet. Doch wie aufreibend und zermürbend die Arbeitsbedingungen sind, erahnen bei Vertragsbeginn nur wenige. "Ich fange um 6.30 Uhr an und arbeite regelmäßig bis Mitternacht", erklärt Muran aus Indonesien. "Manchmal gibt es dann noch Abendveranstaltungen, nach denen ich aufräumen muss. Dann wird es schon einmal zwei oder drei Uhr morgens, bis ich Dienstschluss habe." Überstunden werden regelmäßig nicht bezahlt. Arbeitszeit-Empfehlungen der Internationalen Transport­arbeiter-Gewerkschaft (ITF) oder der Vereinten Nationen stoßen bei den Betroffenen nur auf müdes Lächeln. "Die von den UN empfohlenen 48 Stunden Wochenarbeitszeit sind unrealistisch. Ich arbeite meist doppelt so lang", erklärt Muran.

Zeit für sich hat er nur selten. Denn die Kabinen sind oft so klein, dass es schon schwierig sein kann, alles Gepäck zu verstauen. Er hat kaum Einfluss darauf, mit wem er monatelang seine Kabine teilt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es jemand aus einem anderen Kulturkreis ist, ist groß. Denn auf vielen Mega-Schiffen sind über 60 Nationalitäten vertreten. So interessant der Austausch zwischen Kulturen auch sein mag, so kommt es auch schnell zu Konflikten. Denn wer übermüdet ist, ist auch schneller reizbar. Hinzu kommt die Arbeit in unterschiedlichen Schichten, die ein Zusammenleben auf so engem Raum erschweren. Die Reedereien stellen trotzdem gezielt Mitarbeiter aus unterschiedlichsten Regionen ein. Ein durchaus erwünschter Nebeneffekt ist, dass die Äußerung gemeinsamer Forderungen der Niedriglohnarbeiter oder eine mögliche gewerkschaftliche Vertretung an Bord erschwert werden. Unmissverständlich wird jedem Mitarbeiter klar gemacht, dass Gewerkschaften auf See unerwünscht sind.

Nur Rendite zählt

Von guten Gehältern kann das Restaurantpersonal nur träumen. Meist ist das monatliche Grundgehalt sehr gering und beläuft sich nur auf wenige hundert US-Dollar. Trinkgelder machen bis zu drei Viertel des Lohnes aus. Doch sie hängen von vielen Faktoren ab. Denn nicht in allen Bereichen des Restaurants lässt sich gleich viel Trinkgeld erarbeiten. Die besten Plätze werden von mafiösen Gangs kontrolliert. Wer sie nicht mit Geld besticht oder anders ihre Gunst erwirbt, hat keine Chance auf eine deutliche Erhöhung seines Salärs.

"Schnell Geld verdienen" ist das Hauptziel der Mitarbeiter aus Niedriglohnländern. An Bord verdienen sie mehr als in ihrer Heimat und nehmen dafür unendliche Lasten in Kauf. Manche haben ihre Familie seit Monaten nicht gesehen, kennen nicht einmal ihre Kinder, weil sie sich zwischen zwei Arbeitsverträgen keinen Rückflug leisten konnten. Alleinerziehende arbeiten für eine gute Schulausbildung ihrer Kinder oder um ihre Schulden zu bezahlen - und Schulden haben sie fast alle. Sie wurden über Agenten angeworben, die sich dafür reichlich bestechen ließen, obwohl dies von den Reedereien verboten wurde.

Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen versuchen die meisten ihren Arbeitsvertrag zu erfüllen. Doch nicht wenige müssen vorher ihren Dienst quittieren, weil sie sich der enormen körperlichen und psychischen Belastung nicht mehr gewachsen fühlen. Wochenlang sind sie fast nur Kunstlicht ausgesetzt. Wenige Stunden Landgang einmal in der Woche sind kein angemessener Ausgleich. Zwar gibt es einige offene Deckflächen, die der Mannschaft zur Verfügung stehen, doch meist fehlt die Zeit, um diese zu nutzen. Vor allem Frauen klagen über Mobbing und anzügliche Bemerkungen durch Vorgesetzte. Sobald die Mitarbeiter den Mannschaftsbereich verlassen, sind sie im Dienst, müssen stetig lächeln und sich um das Wohl der Passagiere kümmern, die sie mit Fragen und Wünschen überhäufen. Chronischer Schlafmangel und Depressionen werden mit Alkohol ertränkt. Manche Reedereien zeigen sich beim Alkoholausschank großzügig, weil sie um die Nöte ihrer Mitarbeiter wissen.

Doch in der boomenden Kreuzfahrtbranche zählt nur die Rendite. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen wollen sich die Großreedereien nicht leisten, da sie in einem enormen Konkurrenzkampf stehen. Immer neue und größere Mega-Schiffe müssen gefüllt werden, damit die Branche expandiert. Mit Billigangeboten werden Urlauber auf die Schiffe gelockt, um an Bord möglichst viel Geld auszugeben. Alle Kampagnen der Internationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft, bessere Bedingungen an Bord durchzusetzen, verliefen weitgehend im Sande. Denn in Indonesien, Indien, Bulgarien und Montenegro stehen Zehntausende im Wartestand, um ein Engagement an Bord zu bekommen.

Ulrich Delius ist Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker. Seit 35 Jahren verfolgt er aufmerksam die Entwicklung der Kreuzfahrtindustrie und interviewte zahlreiche asiatische Beschäftigte auf Kreuzfahrtschiffen.

(6.815 Anschläge, 93 Zeilen, März 2010)