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Angst vor Entführungen

Einbrüche beim Sahara-Tourismus


Reisen in die Sahara lassen sich immer schwerer verkaufen. Unter Touristen geht die Angst vor Entführungen durch die Terrororganisation "El Kaida im Maghreb" (AQMI) oder durch kriminelle Banden um. Unter den zurückgehenden Gästezahlen leiden besonders die Tuareg in Mali und Niger, die nach den Dürren der vergangenen Jahrzehnte immer mehr auf Tourismus gesetzt haben.

Die Ermordung des Franzosen Michel Germaneau im Norden Malis Ende Juli 2010 hat unter Urlaubern Angst vor unkalkulierbaren Risiken einer Reise in die Wüste geschürt. Germaneau war nicht einmal unerfahren. Der 78jährige hatte in der Öl-Industrie Algeriens gearbeitet, bevor er beschloss, sich für die humanitäre Arbeit einer kleinen Hilfsorganisation zu engagieren, die dringend benötigte Schulen für Tuareg errichtet.

Bereits im Dezember 2009 wurden drei Urlauber aus Saudi-Arabien bei einem Wüstentrip in Niger überfallen und getötet. Schon seit Monaten warnen das Auswärtige Amt und andere europäische Außenministerien Touristen ausdrücklich vor Reisen in den Norden Malis und den benachbarten Niger. Doch ungeachtet der Reisewarnungen brach eine 79jährige Darmstädterin im Januar 2009 mit einem Reiseveranstalter in die Sahara auf. Gemeinsam mit drei weiteren europäischen Reisenden wurde sie von AQMI gefangen genommen. Aus der geplanten 11-tägigen Reise wurden drei Monate Geiselhaft.

Riskante Reisen

Zwar kamen die Urlauber wieder frei, doch solche Reisen können Touristen teuer zu stehen kommen. Nicht nur die psychologischen Folgen der Verschleppung sind unabsehbar, auch finanziell kann ein solcher Trip zum Desaster werden. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts müssen Deutsche die Kosten für ihre Befreiung nämlich grundsätzlich selbst tragen. Ob und in welcher Höhe die Touristen zur Kasse gebeten werden, entscheidet das Auswärtige Amt im Einzelfall. Wer explizite Reisewarnungen des Ministeriums ignoriert, muss später zumindest einen Teil der Rettungskosten zahlen.

Touristen bleiben fern

Vor allem im Norden Malis und Nigers verzeichnet der Tourismus massive Einbrüche. Während Weihnachten 2008 noch 20.000 Urlauber in die Touristen-Metropole Timbuktu im Norden Malis kamen, waren es ein Jahr später weniger als 5.000. "Es ist ein Unglück für unsere Region", klagt der Hotelbesitzer Boubacar Touré. Waren Weihnachten 2008 noch 200 Gäste in seinem Haus, so kamen zu den Festtagen 2009 nur noch vier Europäer. Rund neun Millionen Euro brachte der Tourismus bislang jährlich in die Region. Geld, das in dem lange von der Regierung vernachlässigten Norden des Landes dringend gebraucht wird. Zwar versuchen die Behörden, den Kollaps des Tourismus abzuwenden, indem sie zum Beispiel das von vielen Reisenden besuchte Musik-Festival aus dem Wüstenort Essakane in die Umgebung von Timbuktu verlegten. Doch europäische Urlauber meiden die Tuareg-Gebiete im Norden Malis und Nigers.

Von dieser Entwicklung profitierte bislang der Süden des Nachbarlandes Algerien. Die Zahl der dort übernachtenden Gäste nahm in der Reisesaison 2009/2010 um 40 Prozent zu. So reisten fast 34.000 europäische Touristen zwischen Oktober und Dezember 2009 in die südalgerische Stadt Tammanrasset. Doch nach der Ermordung von elf Polizisten in Südalgerien im Sommer 2010 ist auch dort der Tourismus akut gefährdet.

Massive Folgen für die Tuareg

Unter dem Einbruch des Tourismus in ihren Regionen leiden vor allem die Tuareg. Nach den Dürrekatastrophen der letzten Jahrzehnte, bei denen viele Nomaden ihre Herden verloren, hatten sie sich den neuen Bedingungen angepasst und lebten immer mehr vom prosperierenden Tourismus. Der Mythos der "stolzen Tuareg-Krieger" lockte hunderttausende Urlauberinnen und Urlauber in die Sahara. Tuareg arbeiteten für sie als Fremdenführer, Fahrer, Reisebüro-Besitzer und verkauften selbst gefertigtes Kunsthandwerk. Mit dem Zusammenbruch des Tourismus verlieren viele Tuareg nun erneut ihre Lebensgrundlage. Auch droht noch mehr Gewalt, denn Algerien kündigte jüngst an, mit 75.000 Soldaten die rund 250 AQMI-Kämpfer in der Sahara jagen zu wollen. So droht der Sahara eine massive Militarisierung, die die Lebensbedingungen der Tuareg weiter erschweren wird.

Ulrich Delius ist Asien- und Afrikareferent der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen.

(4.216 Anschläge, 61 Zeilen, September 2010)