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Ambitionierte Begegnungsprogramme in Ägypten

Soziale Verantwortung in einem schwierigen Umfeld


Glaubwürdige Nachweise für gesellschaftliches Unternehmensengagement und soziale wie ökologische Verantwortung wollen im Detail erbracht werden. Dass es dabei nicht nur um Erfolgsmeldungen und Messzahlen geht, und wie schwierig es im Einzelfall ist, Begegnungen auf Augenhöhe zu realisieren, zeigen die Eindrücke von einer Journalistenreise mit "Biblische Reisen" nach Kairo kurz vor den Wahlen, die Ende November stattfanden.

Es ist ein sehr zwiespältiges Erfahrungsfeld, in dem sich der Reiseveranstalter hier politisch bewegt und sozial engagiert. Für den "kirchennahen Spezialveranstalter in der Welt der Religionen", wie sich das Unternehmen selbst sieht, sind kulturelle Begegnungen, interreligiöser Austausch sowie Erfahrungen im Alltagsleben und soziale Fragestellungen Markenzeichen der Reiseangebote. Dazu gehören Besuche in ausgewählten sozialen Projekten und Einrichtungen ebenso wie Begegnungen mit christlichen und muslimischen Organisationen. Spenden werden von den Gästen dabei durchaus erwartet. Über einen Förderverein können sich die Ägyptenreisenden auch längerfristig mit Beiträgen engagieren, z.B. für die Arbeit mit Behinderten oder den Aufbau einer Kinderklinik und -tagesstätte. Auch der Ausbau einer Sozialstation für die so genannten "Müllmenschen" wird unterstützt. Alle genannten Einrichtungen werden durch die koptische Kirche und die Marienschwestern geleitet.

 

Willkürliche Gewalt gegen Christen

"Terror und Gewalt prägen den Alltag der Kopten in Ägypten. Anfang März 2010 wurden Angehörige dieser christlichen Religionsgemeinschaft Opfer von pogromartigen Ausschreitungen: 2.000 bis 3.000 Islamisten skandierten nach der Freitagspredigt im nordägyptischen Küstenort Mersa Matrouh radikale Parolen, warfen Steine nach den Gläubigen, verwüsteten koptische Häuser und Geschäfte oder brannten sie nieder. Gewalttätige Angriffe auf Kopten in Ägypten bis hin zu Morden und Vergewaltigungen hätten stark zugenommen, beklagte ein Vertreter der Koptischen Kirche in Deutschland gegenüber der Gesellschaft für bedrohte Völker. "Auch unsere Kirche leidet sehr. Gotteshäuser werden immer wieder von Extremisten niedergebrannt."

Die christliche Minderheit stellt mit acht bis zehn Millionen Menschen mindestens zehn Prozent der etwa 83 Millionen ägyptischen Staatsbürger. Die meisten Christen sind Kopten. Sie gehören vor allem der orientalisch-orthodoxen Kirche an. Es gibt aber auch die koptischen Katholiken, die griechisch-orthodoxen, griechisch-katholischen und protestantisch-arabischen Christen. Sie bilden jeweils nur kleine Gemeinschaften. Im ägyptischen Parlament sind die Christen unterrepräsentiert: von insgesamt 440 Abgeordneten stellen sie nur vier."

Gesellschaft für bedrohte Völker, 25.11.2010

 

Begegnungen unter Unsicherheit

Die Integration von Begegnungselementen und interkulturellem Austausch in Reiseprogramme gestaltet sich in vielerlei Hinsicht nicht einfach. Sich auf Augenhöhe zu begegnen setzt gute Vorbereitung voraus - auf beiden Seiten. "Müllmenschen" dürfen nicht besichtigt werden und es soll kein "Betroffenheitstourismus" betrieben werden. Andererseits sind persönliche Erfahrungen eine wichtige Voraussetzung für das Lernen auf Reisen.

In einer politischen Situation, in der die konservativ-traditionelle Rückbesinnung in Ägypten unübersehbar ist und jeder einzelne Programmpunkt, praktisch jeder Schritt den die Reisegruppe unternimmt, aus "Sicherheitsgründen" bei der Touristenpolizei angemeldet werden muss, sind solche Programme ambitioniert und verdienen Anerkennung. Dies um so mehr, da solche Reisen in einem gesellschaftlichen Klima Ägyptens stattfinden, das von Angst und Verunsicherung geprägt ist und wo kaum jemand zu einer offenen Aussage über aktuelle politische Themen oder gar zur Rolle von Präsident Mubarak bereit ist. Es wird auch berichtet, dass Hotels z.B. keine Räume mehr für Treffen und Begegnungen zur Verfügung stellen. Andererseits begegnet uns eine unerwartete, freundliche Offenheit in den Moscheen Kairos.

Undemokratische Wahlbedingungen

Bei der Wahl am 28.11.2010 hat die Opposition alle Sitze verloren. Die Muslim-bruderschaft und die demokratische Opposition unter dem Friedensnobelpreisträger und früherem Vorsitzenden der Internationalen Energieagentur (IAEA), Mohamed Al-Baradei, warfen der Regierungspartei vor, sie habe die Wahl massiv manipuliert. Diese Einschätzung teilen örtliche und internationale Menschenrechtsgruppen, die mangelnde Transparenz und Betrug beklagen. Vertretern von Opposition und unabhängigen Gruppen sei kein Zugang zu den Wahllokalen gewährt worden. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Wahlbeteiligung dieses Mal auf zehn bis 15 Prozent. 2005 lag sie noch bei 25 Prozent.

(3.458 + 1.334 Anschläge, 48 + 16 Zeilen, Dezember 2010)